12.02.2010 | 14:45 | Korrekturen und Ergänzungen

"Mit Leib und Seele" X

"Carole hat sich, was das Bügeln angeht, für das Gegenteil entschieden. Sie hasst Hausarbeit. Nur das Bügeln bildet da eine Ausnahme, denn dabei empfindet sie in der Endphase sogar richtiges Vergnügen. (...) Sie ist sogar so überrascht von der Existenz dieses paradoxen Vergnügens, dass sie geneigt ist, das Bügeln in eine völlig andere Kategorie von Tätigkeiten einzuordnen und es immer wieder auf später zu verschieben, um erst das zu erledigen, was ihr schwerer fällt und was unangenehmer für sie ist: 'Ich hebe mir den besten Bissen für den Schluss auf.' Da es ihr aber nicht gelingen will, die anderen Aufgaben zu erledigen, spart sie das Bügeln so lange auf, dass diese Tätigkeit, die doch offiziell die angenehmste ist, letztlich am wenigsten von allen sichergestellt ist. Die Befragung fand im Frühling statt – Carole hatte einen großen Berg Wäsche aus dem letzten Sommer noch immer nicht gebügelt."

(Jean-Claude Kaufmann: "Mit Leib und Seele – Theorie der Haushaltstätigkeit", S. 235)

(Keine Sorge, höchstens noch vier Zitate aus diesem großartigen Buch.)

10.02.2010 | 18:58 | Korrekturen und Ergänzungen

"Mit Leib und Seele" IX

"Ein weiterer Aspekt ist, dass zunächst die bewusste Entscheidung getroffen werden muss, zur Tat zu schreiten. Fensterputzen tut man nicht so oft, deshalb muss man den Zeitpunkt für die Handlung bewusst wählen. Ein regelmäßiger Rhythmus, wie etwa beim Spülen nach jeder Mahlzeit, verhindert, dass man sich Fragen stellen muss. Fehlt ein solcher Rhythmus, ist man gezwungen, nachzudenken und zu entscheiden, wann der richtige Augenblick ist, um zur Tat zu schreiten. Dies wiederum löst alle möglichen anderen Fragen und Zweifel aus, die die Tätigkeit als solche hinterfragen: Warum nicht auf morgen verschieben? Warum nicht einfach hinnehmen, dass ein bisschen Staub auf den Fenstern liegt? Gibt es im Leben nicht wichtigere Dinge? Ist das nicht Zeitverschwendung?"

(Jean-Claude Kaufmann: "Mit Leib und Seele – Theorie der Haushaltstätigkeit", S. 213-214)

18.01.2010 | 11:12 | Korrekturen und Ergänzungen

"Mit Leib und Seele" VIII

"Wenn dieses Hin- und Herschwanken zwischen zwei verschiedenen Konzeptionen des Selbst von Dauer ist, kann es auch zu einer strukturellen Spaltung kommen. Wie wir gesehen haben, stellt sich Lola inzwischen neue Fragen hinsichtlich des Geschirrspülens. Sie beginnt, sich selbst als perfekte Hausfrau zu sehen. Aber sie ist sich ihrer selbst nicht ganz sicher, hinterfragt diese Entwicklung: Sollte sie wirklich in diese Richtung weitergehen? Ist das das wahre Leben? 'Manchmal fragt man sich, ob es nicht ein wenig bescheuert ist, seine Zeit mit Putzen zu verbringen.' Dann wird das Geschirrspülen wieder zu dem, was es war: lästig, eklig und etwas, was den Tanz nicht verdient. 'Da sage ich mir dann: was, um alles in der Welt, tue ich hier? Woanders würde es mir besser gehen.' Um mit der Handlung zu verschmelzen, darf man sich nicht woanders hinwünschen, und man darf auch nicht zwischen verschiedenen Rollen hin- und herspringen. Nun sind Frauen aber heutzutage einem chronischen Hin-und-Her ausgeliefert (Kaufmann 1994). Es bieten sich ihnen zwei relativ unversöhnliche Rollen: die Verwirklichung eines unabhängigen Selbst nach dem Vorbild männlicher Laufbahnen, was ein starkes Engagement im beruflichen Bereich erfordert, oder das Eintauchen in das familiale und häusliche Universum, der unwiderstehliche Drang, die gute Hausfee in diesem kleinen Reich zu werden.
Im allgemeinen wird keine dieser beiden Rollen völlig aufgegeben. Deshalb muss man beide unter einen Hut bringen, sie miteinander versöhnen und zwischen den ungewissen Grenzen des Gegensatzes im Haushalt hin- und hernavigieren. In diesem Fall kommt mit jeder einzelnen Geste ein gespaltenes Selbst zum Vorschein. Soll man das machen oder nicht? Es schnell machen oder gut? Je stärker der Zweifel ist, um so stärker drängt der Widerwille an die Oberfläche. Und je größer der Unterschied zwischen den beiden Drehbüchern, die man mit sich herumträgt, um so häufiger kommt es zu Zweifeln."


(Jean-Claude Kaufmann: "Mit Leib und Seele – Theorie der Haushaltstätigkeit", S. 204)

15.01.2010 | 08:36 | Korrekturen und Ergänzungen

"Mit Leib und Seele" VII

"Der Tonfall wird jedoch etwas zögerlicher, wenn es um die Kategorie von Gesten geht, die man als besonders abstoßend und unangenehm empfindet, obwohl sie von der Gesellschaft offiziell als etwas eingestuft werden, das eigentlich nicht abstoßend und unangenehm sein darf. Wenn man die Mechanismen, die Widerwillen erzeugen, verstanden hat, wird klar, dass jeder Handgriff, egal welcher, in den Sog des Widerwillens geraten kann. Genauso wie Kloputzen ohne die geringste Abscheu erledigt werden kann, können auch Tätigkeiten, die eigentlich als angenehm definiert sind, zu etwas Grauenerregendem werden. Alles hängt davon ab, ob zwischen Körper und Geist eine Harmonie zustande kommt oder nicht. Doch für den alltäglichen Menschen gibt es innerhalb dieses seltsamen Mechanismus, zu dem er keinen Zugang hat, noch einen weiteren Anlass für Ärger.
Nehmen wir das Beispiel von Tätigkeiten, die man sich freiwillig zusätzlich aufgehalst hat. Man sagt sich beispielsweise, dass es doch eine gute Sache wäre, einen gepflegten Rasen zu haben (ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben, was für einen Arbeitsaufwand regelmäßiges Mähen bedeutet) (...). Es scheint sich um eine freie Entscheidung zu handeln, aus reinem Vergnügen. Aber in Wirklichkeit ist diese Entscheidung oft die automatische Folge eines Ereignisses und lässt nur wenig Entscheidungsspielraum (der Hauskauf führt einen, ob man will oder nicht, in das Reich des Rasenmähens ein; der Goldfisch, den man vom Jahrmarkt mitgebracht hat, lässt einen unweigerlich die Freuden des Unterhalts eines Aquariums entdecken etc.) Und hat sich die Tätigkeit dann erst einmal bei einem niedergelassen, wird es schwierig, sie wieder in Frage zu stellen. Ihr offiziell freiwilliger und optionaler Charakter widersetzt sich einer Einordnung in die Rubrik der normalen Haushaltspflichten, die mehr oder weniger routinisiert werden können, weil 'man sie eben machen muss'. Die betreffende Zusatztätigkeit muss also ständig dadurch bestätigt werden, dass man sich die Gründe in Erinnerung ruft, die, zumindest theoretisch, ausschlaggebend für die Entscheidung waren. Sobald gegen die Tätigkeit Widerwille aufkommt, werden also diese Gründe ins Bewusstsein gerufen, und über einen Mechanismus, den wir bereits kennengelernt haben, vergrößert sich die Distanz zwischen Körper und Geist, wobei der Blick auf sich selbst ein Gefühl der Fremdheit und Äußerlichkeit der Geste erzeugt, wenn die Gründe keine Gültigkeit mehr haben. So können auf völlig unverständliche Weise Tätigkeiten, für die man sich bewusst entschieden hat und die eigentlich eher eine Art Hobby darstellen, in der Hitparade des Widerwillens plötzlich einen der vordersten Plätze einnehmen. Beim einen ist das der Rasen, beim anderen das Reinigen des Grills oder der Plastikwanne. Wie es der Zufall wollte, kam bei unserer Stichprobe ein wahrer Jammerchor von Leuten zusammen, die alle von ihren Katzen genervt sind."


(Jean-Claude Kaufmann: "Mit Leib und Seele – Theorie der Haushaltstätigkeit", S. 198-199)

13.01.2010 | 20:47 | Korrekturen und Ergänzungen

"Mit Leib und Seele" VI

"Und dann ist da noch ein letzter Hemmschuh für das Weggeben von Hausarbeit: der Preis. Hausarbeit von jemand anderem erledigen zu lassen, bedeutet natürlich höhere Ausgaben. Die finanzielle Frage ist also durchaus relevant. Es ist jedoch selten, dass wirklich Kosten und Nutzen gegeneinander aufgerechnet werden. Viel eher kommt das finanzielle Argument ins Spiel, um einer bereits getroffenen ablehnenden Entscheidung mehr Nachdruck zu verleihen.
(...)
Die Ausgabe wird also viel stärker zur aktuellen Organisation in Beziehung gesetzt als zu den Vorteilen, die dadurch entstehen könnten (beispielsweise mehr Zeit für sich selbst zu haben oder beruflich mehr zu arbeiten und deshalb mehr zu verdienen). Es wird immer nur in die eine Richtung gerechnet: man hätte mehr auszugeben.
(...)
Innerhalb der Paarbeziehung kommt das finanzielle Argument auf eine ganz spezielle Weise zum Einsatz. Nach dem klassischen Schema bietet die Frau ihre Schönheit, ihre beziehungsmäßige und emotionale Kompetenz und ihre Hausarbeit im Austausch gegen die Stärke, die gesellschaftliche Position und das Einkommen des Mannes an (de Singly, 1987). Dies erklärt, warum sie sich tendenziell dagegen wehrt, Hausarbeit wegzugeben. Denn dies würde ihren eigenen Einsatz in Sachen Hausarbeit reduzieren und außerdem eine größere finanzielle Ausgabe für den Haushalt bedeuten, was die Austauschbeziehung aus dem Gleichgewicht brächte. Sie müsste dies dann durch andere Werte ausgleichen, von denen sie nicht so recht weiß, welche das sein könnten, und von denen sie annimmt, dass sie teurer kämen als die Hausarbeit. Nur sehr selten kommt es vor, dass die Positionen umgekehrt sind, dass der Mann also weniger Geld nach Hause bringt als die Frau und dies durch einen anderen Beitrag, insbesondere Hausarbeit, kompensiert. Bei David ist das so, doch auch hier bestätigt sich das Gleichgewichtsprinzipg: Derjenige, der lieber Hausarbeit als Geld beisteuert, neigt eher zur Sparsamkeit, wenn es um die Delegation von Hausarbeit geht."


(Jean-Claude Kaufmann: "Mit Leib und Seele – Theorie der Haushaltstätigkeit", S. 125-127)

11.01.2010 | 15:40 | Korrekturen und Ergänzungen

"Mit Leib und Seele" V

"Der zweite Grund, weshalb es solchen Haushalten so schwer fällt, die Arbeit von jemand anderem erledigen zu lassen, liegt in der Organisation selbst. Denn um Arbeit delegieren zu können, bedarf es nicht nur einer soliden Organisation, sondern auch der Fähigkeit, denjenigen, der die Arbeit übernimmt, nach den Prinzipien des eigenen Haushalts anzuleiten. Denn die delegierte Tätigkeit ist alles andere als eine unförmige Masse, die einfach nur übergeben werden muss und denjenigen, der sie übergibt, von jeder Verantwortung freistellt. Wenn die bereits bestehende Organisation auf regelmäßigen Automatismen beruht und nach klaren Prinzipien funktioniert, die auch explizit gemacht werden können, dann vollzieht sich diese Übergabe ohne große Reibungsverluste. Ist dies nicht der Fall, dann kann der Aufwand, den die Delegation erfordern würde, eher davon abschrecken, Arbeit abzugeben. Hier beobachten wir aufs neue, dass gerade denjenigen, die Hilfe am nötigsten hätten, nicht geholfen werden kann. Hausarbeit abzugeben setzt paradoxerweise voraus, dass man selbst bereits sehr gut weiß, wie sie zu machen ist. Noch mehr als die Scham ist das für Carole ein Hinderungsgrund dafür, das Weggeben bestimmter Aufgaben im Haushalt ernsthaft in Erwägung zu ziehen: 'Derzeit wäre ich zuhause gar nicht organisiert genug, um das machen zu können.' Sie kann sich also nicht so recht vorstellen, wie sie eine andere Person in ihr höchst improvisiertes System einbeziehen könnte: 'Im Moment wäre ich viel zu chaotisch, um jemandem sagen zu können, sie soll dies oder jenes machen. Da ich alles anfange, aber nie etwas wirklich zu Ende bringe, hätte die Arme sicher echte Schwierigkeiten, sich bei mir zurechtzufinden.'"

Ich glaube Kaufmann fast alles, und hier hat er sicher auch in Ansätzen recht. Aber es kommt mir so vor, als säße er im wesentlichen Punkt den Ausflüchten seiner Interviewpartnerinnen auf. Dafür spricht zumindest meine eigene Erfahrung mit dem ausgezeichneten Aufräum- und Putzmann Ingo, der in meiner Wohnung ohne weitere Instruktionen einfach das erledigt, was er für richtig hält. Das ist kein perfektes Verfahren, zum Beispiel wird niemals das Bad geputzt, dafür werden viel zu oft alle meine T-Shirts ordentlich gefaltet. Neulich warf er sogar die finnische Plastiktüte mit Mumintroll-Illustrationen weg. Aber insgesamt befindet sich die Wohnung nach seinen viel zu seltenen Besuchen in einem etwa 500 Prozent besseren Zustand als vorher. Wer wird da über Kleinigkeiten nörgeln wollen? Ich glaube deshalb nach wie vor, dass Scham der wichtigere Grund für das Nichtausderhandgeben von Arbeiten ist, die man selbst nicht bewältigt.

(Jean-Claude Kaufmann: "Mit Leib und Seele – Theorie der Haushaltstätigkeit", S. 120-121)

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