19.03.2009 | 16:51 | Korrekturen und Ergänzungen | Berichte und Beispiele

Arztbesuch, später

Petra Thorbrietz schreibt bei carta.info über Falsche Diagnosen durch Technikglauben. Der Beitrag enthält mehrere beruhigende Informationen für Arztbesuch-Aufschieber, darunter diese: "Manchmal ist es ganz gut, Dinge auf die lange Bank zu schieben. Das zeigt sich in England, wo das staatliche Gesundheitssystem lange Wartezeiten vor eine Operation schiebt. Dort ist die Zahl der Rücken-OPs deutlich geringer als in Deutschland: 90 Prozent der Leiden nämlich haben sich innerhalb von 12 Monaten verflüchtigt, obwohl sie nicht behandelt wurden."

27.02.2009 | 01:22 | Berichte und Beispiele

Das Da-Vinci-Prinzip

Auf Wunsch mehrerer Leser werden wir hier bald mal auf diesen Artikel verweisen müssen: "How to Procrastinate Like Leonardo da Vinci", bei der Gelegenheit am besten auch gleich auf die Diskussion dazu bei Hacker News. (Der Titel dieses Beitrags wäre, wenn es nach dem Verlag gegangen wäre, der Titel unseres Buchs.)

06.11.2008 | 11:03 | Berichte und Beispiele

Tu Felix Estonia

Markus Albers, der Autor von "Morgen komm ich später rein", berichtet aus Estland, dem Land des überall kostenlos verfügbaren WLAN:

"Katrin Pärgmäe vom Estonian Informatics Center ... behauptet: 'Die Steuererklärung dauert in unserem nagelneuen und übersichtlichen Regierungsportal nur 10 Minuten, ein Gewerbe anzumelden 15 Minuten.'
Vor zwei Jahren wurde zum ersten Mal online gewählt. Eltern kontrollieren die Hausaufgaben ihrer Kinder auf der Schulwebsite. Parkgebüren werden per SMS bezahlt. Und weil sogar das Bier in der Künstlerkneipe mit Kreditkarte abgerechnet wird, gibt es in Estland einfach gar kein Münzgeld mehr."


Estland scheint ja jetzt zur EU zu gehören oder so. Vielleicht kann man da einfach ohne viel Getue hinziehen, und die Sache hat sich.

03.11.2008 | 19:08 | Tipps und Tools | Berichte und Beispiele

Amazon Frustration Free Package

Die Hoffnung auf eine bessere Welt erfüllt sich schon bald! Der Produkte-Versender Amazon hat das "Amazon Frustration Free Package" auf den vertrackten Verpackungsmarkt gebracht (natürlich bisher nur in den USA). Es handelt sich um eine stark vereinfachte Verpackung für alle möglichen Produkte, die man ohne Teppichmesser, ohne Schere, ohne Schneidbrenner oder Präzisionsstanze öffnen kann.



Genau das ist der Geist, in dem wir den Fortschritt des Konsums vorangetrieben sehen wollen – aggressive Vereinfachung von allem und jedem, bis das Scheitern am Gerät oder an der Geräteverpackung ausgeschlossen werden kann. Dass Amazon sich im vorliegenden Fall dem Ärgernis Verpackung angenommen hat, das sie nur indirekt mitbetrifft, muss als vorbildlich begrüsst werden. Wer stand nicht schon mit blutenden Fingern, drei abgebrochenen Klingen und nach Lösungsmittel stinkend und fluchend vor einer nicht zu öffnenden Plastikverpackung? Bisherige Lösungsansätze umwehte oft der Ruch des Catch 22, aber nun wird das Übel an der Wurzel zernichtet, das Amazon Frustration Free Package entsteht nämlich gemeinsam mit den Herstellern, so wird sogar auch ein bisschen Umwelt gespart. Alles ist schliesslich so auch schon schwierig, anstrengend und komplex genug, da muss nicht auch noch eine blosse Verpackungsöffnung die Energie und die Kompliziertheit eines Tisch-Kernkraftwerks einfordern. Zur Belohnung für diese schöne Weltverbesserungsidee schicken wir Amazon eines unserer Bücher.

31.10.2008 | 17:28 | Berichte und Beispiele

Wartearbeiten

Der nebenstehende Clip von so mittlerer Güte ist ein Clip mit Prokrastinationshintergrund. Inhaltlich handelt es sich um ein Filmchen, das ich für eine Arte-Dokumentation gedreht habe, in der es um freies W-LAN für alle geht und wie man das politisch durchsetzen könnte; die Idee besteht hauptsächlich darin, vor dem Brandenburger Tor die kleinste Demonstration der Welt zu veranstalten und davon einen Clip ins Netz zu stellen (eine Idee, die ich seit Jahren allen möglichen Werbekunden versucht habe zu verkaufen, wollte aber nie jemand).

Technisch aber ist das Zustandekommen des Films interessanter: Am achten Oktober wurde gedreht, wie der Youtube-Clip gedreht wurde. Im Überschwang hatte ich mich bereiterklärt, meine Kamera mitzubringen und den nebenstehenden Clip auch zu schneiden. iMovie, zippzapp, kann ja nicht so schwer sein, dachte ich mir so und hatte das alles schon wieder vergessen, als ein paar Tage später der Film fertig sein sollte. Drei Stunden vor der Deadline, etwa am 11. Oktober fing ich an zu recherchieren. Problem: ich hatte die Sony-Kamera im Glauben, die Aufnahmequalität müsse erhöht werden, auf AVCHD 1080i eingestellt. Es stellte sich heraus, dass diese Massnahme ein kleines wenig, sagen wir, kurzsichtig war, denn die Kamera hatte alle Dateien im Format .MTS abgespeichert. Hä? Ja. Digitale Filmdateiformate sind sowieso ein einziges Grauen, eine stockdunkle Riesenhöhle mit spitzen Stalaktiten, Stalagmiten, Felsspalten und Abgründen, in der auch die Bewandertsten nur ein Funzelchen mit sich herumtragen, mit dem anderthalb Meter um sie herum beleuchtet werden. Zum Vergleich: Das Dateiformat .MTS taucht weder in der Wikipediabeschreibung von AVCHD auf noch in der dortigen, doch recht umfangreichen Auflistung von Dateiendungen. Weitere Recherchen ergaben zwar eine Handvoll Converterprogramme, leider alle auf dem PC (das ist so eine aussterbende Betriebssystemimitation).

Um es kurz zu machen, gab es keine andere Möglichkeit, als die Szene, in der der hier vorliegende Youtube-Clip im Film gebraucht wurde, auf den letzten Drehtag zu verlegen. Der am letzten Dienstag war. Vorrausschauend fragte ich bereits am Montag Mittag das neue Human Google, also Twitter, um Rat. In der Tat bekam ich eine Menge Antworten, lud auf Verdacht ersteinmal drei, vier Tools herunter, die alle mit .MTS ebensowenig anfangen konnten wie ich. Dann der entscheidende Tipp: Voltaic (von mehreren Menschen, unter anderem @iForia und @Olli). Damit konnte man dieses aberwitzige Dateiformat auf dem Mac umwandeln, was ich auf Dienstag vormittag verschob und nur 10 Minuten nach der Deadline lag der zusammengeschusterte Clip in grauenhafter Vorschau-Qualität (wegen fehlender Ausspielzeit) vor. Der Clou: mein spezielles Dateiumrechnungsproblem war aufgrund von seltsamen Einstellungen meines Sony-Camcorders überhaupt erst seit der 1.6.0-Release technisch lösbar. Das Datum der Veröffentlichung: 16. Oktober 2008. Ich hätte das Problem zum Zeitpunkt der Entstehung also gar nicht lösen können, so ganz ohne schnittfähige PCs im Freundeskreis. Ich ziehe daraus nicht nur die Lehre, dass Prokrastination unter anderem "auf den Fortschritt warten" heisst – sondern auch, dass man ab und zu einfach Glück braucht. Und technisch begabte, aufmerksame Follower, die den ganzen Tag im Netz herumstromern und die seltsamsten Programme ausfindig machen, obwohl sie eigentlich etwas ganz anderes tun sollten.

24.10.2008 | 19:43 | Berichte und Beispiele

Ein anonymer Bericht

Auf der Rowohlt-Buchmessenparty habe ich die Gelegenheit zur Feldforschung genutzt und zwei Gespräche über Prokrastinatorisches aufgenommen. Hier das erste, ein Bericht einer anonymen Zeitungsmitarbeiterin:

NN: "Ich habe ein ganz massives Aufschiebeproblem, ich schiebe sogar auf, wenn die letzte Mahnung kommt, Zwangszahlungsandrohung und so weiter. Auf meinem Schreibtisch stapelten sich immer unglaubliche Dokumentenberge. Ich habe dann beschlossen, eine Sekretärin zu engagieren. Ich bin jetzt keineswegs eine Großverdienerin, ich verdiene eher wenig, aber ich habe gedacht, wenn ich das Problem vom Hals habe, dann ist mir das das Geld wert. Dann habe ich eine Anzeige gesehen in der Zeitung, da hieß es '58-Jährige, sehr zuverlässig, sucht Nebenbeschäftigung'. Ich habe die angerufen und gesagt: 'Ich hätte da vielleicht was für Sie, es ist aber nichts Seriöses, es ist auch schwarz', und so weiter. Dann hab ich ihr sofort ganz offen mein Problem geschildert, und sie hat gesagt: 'Ok, ich guck mir das mal an.' Jetzt sitzt sie so bei mir am Schreibtisch und sagt immer: 'Frau N., da hat das Finanzamt Ihnen aber 300 Euro zu viel abgezogen, da müssen wir hinschreiben.' Dann gibt sie mir die Sachen zur Unterschrift, ich unterschreib das dann, dann schickt sie das ab. Ich bin total erleichtert, weil das wirklich ein Riesenproblem war über Jahre, das ich dadurch jetzt gelöst habe."
KP: "Und die sitzt dann bei dir zu Hause und macht das, während du da bist?"
NN: "Ja, zum Teil. Zum Teil ist es so, dass ich dann zum Beispiel Kontoauszüge holen gehe, was ich auch besser kann, wenn sie da ist, dann heften wir die zusammen ab. Aber es ist auch oft einfach so, dass ich in der Küche bin oder im Nebenzimmer und sie dann da die Sachen macht und mich nur unterschreiben lässt."
KP: "Wie oft kommt die dann so?"
NN: "Nach Bedarf. Die ersten Male kam sie halt, um den Riesenberg abzuarbeiten, das hat ein paar Tage gedauert. Und jetzt habe ich sie grade gebeten, mal wieder zu kommen, weil sich wieder was angesammelt hat."
KP: "Und was kostet das?"
NN: "Also ich habe ihr 15 Euro angeboten, und sie hat sofort Ja gesagt. Weil ich einfach das Gefühl hatte, dass es so eine Scheißarbeit ist, und ich hatte auch ein schlechtes Gewissen. Ich habe gedacht: Wenn ich sie anständig bezahle, dann fühl ich mich gut und sie fühlt sich gut. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, sie so eine Arbeit machen zu lassen, aber ihr macht das Spaß. Das ist wirklich wunderbar."

Im zweiten Interview wird es darum gehen, wie man eine Tendenz zur Spielsucht unter Kontrolle behält, und zwar ohne einen Funken Selbstdisziplin.

[1] 2 3 4