27.09.2008 | 16:33 | Prokrastinations-Beratung

Prokrastinationsberatung 2

Sonja S. schreibt uns:

HHHHHiiiiiiiiiiiillllllllllllllffffffffffeeeeeeeee!!!
Vor ein paar Tagen habe ich endlich den Grund dafür entdeckt, warum ich mich täglich motivieren möchte, es dann doch nicht klappt und ich am Abend vor Selbstgeißelung und Selbstbestrafung heulend ins Bett gehe und für den nächsten Tag Besserung gelobe! Der Grund: PROKRASTINATION. Unglaublich, dass ich doch nicht faul, dumm, hässlich, fett, ungeliebt, ungebraucht und einfach nur scheiße bin. Ich habe eine Arbeitsstörung!!! Und außerdem mittlerweile eine "depressive Verstimmung".
Nun meine Frage: Wie kann ich innerhalb kürzester Zeit (denn ich schreibe meine Diplomarbeit), meine Arbeitsstörung überwinden, ohne all die Bücher lesen zu müssen und erst mühsam meine Psyche rekonstruieren zu müssen. Denn zum Bücher lesen habe ich keine Zeit. Habe eh schon genug für meine DA zu lesen. Und auch ne langwierige Therapie zu beginnen ist zeitlich nicht drin!
Bitte bitte helft mir!!!!!!!!!!!!
Was soll ich nur tun? Psychologe aufsuchen? Selbsttherapie? Oder einfach mit der neu gewonnenen Erkenntnis, dass es auch anderen so geht, weiterarbeiten?
Herzliche Grüße von einer Betroffenen!


Liebe Sonja, du brauchst deine Psyche nicht mühsam zu rekonstruieren, es reicht, wenn du das richtige Buch liest, nämlich unseres. Zum Glück hast du auch genug Zeit dafür, denn die Vorstellung "Ich muss unbedingt jede Minute meiner Diplomarbeit widmen" ist Teil des Problems und führt nur dazu, dass alles noch länger dauert. Wir fassen zu diesem Thema im Buch kurz zusammen, was Neil Fiore, Berater prokrastinierender Studenten und Autor von "The Now Habit" dazu meint. Aber hier ist ja etwas mehr Platz, deshalb zitiere ich ihn mal ausführlicher:

"My first assignment as a new psychologist at the University of California, Berkeley, Counseling Center was as coleader of a group for graduate students who were procrastinating on their doctoral dissertations. We met weekly to provide support for these students going through the intense, stressful, and often lonely process of completing the largest single project they had ever faced.

I became interested in the differences between those who were taking many years to complete their work and those who were able to conclude their research and writing within two years or less. Surprisingly, intelligence and emotional problems were not the characteristics that distinguished the two groups. The real difference seemed to be that those who took three to thirteen years to complete their dissertations
suffered more. These long-term procrastinators:

- Saw themselves as always working. They kept themselves busy producing concrete work.
- Thought of their lives as 'being on hold.' They had cleared their calenders so they could always be working, while parties, friends, and exercise were for 'A.D.' (after dissertation).
- Felt that work required deprivation and sacrifice. Work was supposed to be difficult; they had to suffer in order to do good work.
- Felt guilty if they spent time with their friends or in leisure activities. Because they weren't really being productive, they felt guilty taking any time for fun, so their recreation was half-hearted and guilty instead of high-quality play and guilt-free.

(...) On the other hand, those who were making good progress toward finishing in a year were dedicated and committed
to their leisure time. Their health and recreation were high priorities and an integral part of their overall plan to do good work on the dissertation. They had to swim, run or dance almost every day. They had to be with friends for dinner several nights a week. They were truly 're-created' – in the original sense of the word recreation – in a way that kept them motivated and interested in returning to their projects for fifteen, twenty, or twenty-five quality hours a week. Their lives were full. They didn't see their work as depriving them of anything; quite the opposite, working intensely and playing intensely went hand in hand with their enjoyment of life. They were living now – not waiting to begin living when their work was completed." (S. 81-82)

Also nimm dir die Zeit, lieg ein bisschen herum und lies das Buch (oder wenigstens Teile davon). Aus naheliegenden Gründen wäre uns am liebsten, wenn du es kaufst, aber in diesem offensichtlichen Notfall würden wir auch eines mit Blaulicht vorbeischicken, wenn du uns deine Adresse mailst.

26.09.2008 | 08:46 | Prokrastinations-Beratung

Prokrastinationsberatung 1

Ines G. schreibt uns:

Liebe Dr.s Passig und Lobo,
eigentlich müsste ich seit zwei Woche drei Leuten aus dem eigenen Unternehmen hinterher telefonieren, die für mich Motive für wichtige Fotoaufnahmen recherchieren sollten (kann ich nicht selbst, ich brauche deren Fachwissen). Langsam wird es brenzlig, denn ich trete bald eine Urlaubsreise an; vorher muss ich dem Fotografen noch mitgeteilt haben, wen er auf welchem Kontinent wo und wie fotografieren soll.
Statt diese unangenehmen Telefonate zu führen, brüte ich zwar tolle Ideen aus, mit denen ich mich und meinen Chef beeindrucke. Aber je weniger Zeit mir bleibt, umso grauenhafter wird die Vorstellung, dass ich diese Menschen anrufe. Wenn ich nicht schnell in die Pötte komme, scheitert dadurch ein ein wichtiges Großprojekt.
Was raten Sie?


Diese Mail erreichte uns am 13.9., und aus unserer zügigen Reaktion kann man zweierlei lernen: Erstens sind wir wahrscheinlich doch gar keine guten Prokrastinationsberater. Zweitens lösen andere Menschen ihre Probleme oft selbst, wenn man nicht sofort reagiert; ein Phänomen, das jeder Techniksupportmitarbeiter kennt. Schon eine Telefonwarteschleife kann genügen, im Wartenden allerhand Denkprozesse ("ist der Stecker eigentlich eingesteckt?") auszulösen. Falls die Anfrage aber immer noch aktuell sein sollte, würden wir dazu raten, jemand anderen per Tauschgeschäft mit den eigentlichen Anrufen zu beauftragen.

Für unangenehme Vermittlungen per Telefon gibt es aber auch einen hervorragenden Workaround – die Kurzschaltung der betreffenden Personen per Mail. Menschen, die beruflich Fotomotive recherchieren können und Fotografen sollten in der Lage sein, aus ein paar dürren Briefingzeilen (die vermutlich längst geschrieben sind) und den jeweiligen Telefonnummern ein anständiges Bild zu zaubern. Dieses Verfahren des sich aus der Schusslinie Mailens ist intensiv agenturerprobt.

Abgesehen davon scheitern wichtige Großprojekte oft viel später, als man so denkt.

Kathrin Passig, Sascha Lobo | Dauerhafter Link | Kommentare (4)

13.09.2008 | 02:45 | Prokrastinations-Beratung

Prokrastinationsberatung: The doctor is in

Die ohnehin dünn gesäten Beratungsangebote für Prokrastinierer drehen sich, wie unsere flüchtigen Recherchen ergeben, primär um den Einsatz unseriöser Wunderheilmethoden wie "einfach mal zusammenreißen", "noch mehr gute Vorsätze fassen" und "To-do-Listen schreiben". Dieser Missstand hat jetzt ein Ende, denn ab sofort gibt es hier die neue Rubrik "Prokrastinationsberatung". Dr. Lobo und ich lösen jeden Fall! Ratsuchende Leser wenden sich an mail@prokrastination.com.