29.09.2008 | 12:39 | Korrekturen und Ergänzungen

Neues von der Selbstkontrolle

Im Buch fassen wir (im Kapitel "Nimm 2 – Impulskontrolle und ihre Feinde") einige Studien zusammen, aus denen hervorgeht, dass Impulskontrolle sich abnutzt, wenn man sie betätigt. "Wer sich eine bestimmte Verhaltensweise an- oder abgewöhnen will, tut gut dar an, sich möglichst wenig auf einmal vorzunehmen. Der Plan, ab morgen immer früh aufzustehen, kalt zu duschen, die Ernährung umzustellen, regelmäßig zu joggen und jeden Tag an der Diplomarbeit zu schreiben, überfordert auch die beste Impulskontrolle." Am Schluss des Kapitels verweisen wir auf die wenigen (ich glaube: bisher zwei) Studien, die zu dem Schluss kommen, dass man diese Fähigkeit auch trainieren kann wie einen Muskel. Jeder in letzter Zeit erschienene Artikel über Willenskraft etc. endet mit diesem hoffnungsvollen Forschungsergebnis, das mir aber eigentlich missfällt. Schließlich wollen wir im Buch darauf hinaus, wie man die Dinge so regelt, dass möglichst wenig von der teuren Selbstregulationsfähigkeit verbraucht werden muss, und nicht etwa auf deren anstrengendes Training. Deshalb freut es mich, im New Scientist zu lesen, dass eventuell auch alles ganz anders und das Willenskrafttraining für die Katz ist:

"However, Torkel Klingberg of the Karolinska Institute in Stockholm, Sweden, who has had some success with training working memory, has not found any evidence that self-control training effects last for the long term or outside the training setting, at least not in young children. 'Despite improvements on the trained task we did not find any transfer after training in 4 to 5-year-old children,' he says."
(New Scientist, 13. September 2008, S. 43)

27.09.2008 | 16:33 | Prokrastinations-Beratung

Prokrastinationsberatung 2

Sonja S. schreibt uns:

HHHHHiiiiiiiiiiiillllllllllllllffffffffffeeeeeeeee!!!
Vor ein paar Tagen habe ich endlich den Grund dafür entdeckt, warum ich mich täglich motivieren möchte, es dann doch nicht klappt und ich am Abend vor Selbstgeißelung und Selbstbestrafung heulend ins Bett gehe und für den nächsten Tag Besserung gelobe! Der Grund: PROKRASTINATION. Unglaublich, dass ich doch nicht faul, dumm, hässlich, fett, ungeliebt, ungebraucht und einfach nur scheiße bin. Ich habe eine Arbeitsstörung!!! Und außerdem mittlerweile eine "depressive Verstimmung".
Nun meine Frage: Wie kann ich innerhalb kürzester Zeit (denn ich schreibe meine Diplomarbeit), meine Arbeitsstörung überwinden, ohne all die Bücher lesen zu müssen und erst mühsam meine Psyche rekonstruieren zu müssen. Denn zum Bücher lesen habe ich keine Zeit. Habe eh schon genug für meine DA zu lesen. Und auch ne langwierige Therapie zu beginnen ist zeitlich nicht drin!
Bitte bitte helft mir!!!!!!!!!!!!
Was soll ich nur tun? Psychologe aufsuchen? Selbsttherapie? Oder einfach mit der neu gewonnenen Erkenntnis, dass es auch anderen so geht, weiterarbeiten?
Herzliche Grüße von einer Betroffenen!


Liebe Sonja, du brauchst deine Psyche nicht mühsam zu rekonstruieren, es reicht, wenn du das richtige Buch liest, nämlich unseres. Zum Glück hast du auch genug Zeit dafür, denn die Vorstellung "Ich muss unbedingt jede Minute meiner Diplomarbeit widmen" ist Teil des Problems und führt nur dazu, dass alles noch länger dauert. Wir fassen zu diesem Thema im Buch kurz zusammen, was Neil Fiore, Berater prokrastinierender Studenten und Autor von "The Now Habit" dazu meint. Aber hier ist ja etwas mehr Platz, deshalb zitiere ich ihn mal ausführlicher:

"My first assignment as a new psychologist at the University of California, Berkeley, Counseling Center was as coleader of a group for graduate students who were procrastinating on their doctoral dissertations. We met weekly to provide support for these students going through the intense, stressful, and often lonely process of completing the largest single project they had ever faced.

I became interested in the differences between those who were taking many years to complete their work and those who were able to conclude their research and writing within two years or less. Surprisingly, intelligence and emotional problems were not the characteristics that distinguished the two groups. The real difference seemed to be that those who took three to thirteen years to complete their dissertations
suffered more. These long-term procrastinators:

- Saw themselves as always working. They kept themselves busy producing concrete work.
- Thought of their lives as 'being on hold.' They had cleared their calenders so they could always be working, while parties, friends, and exercise were for 'A.D.' (after dissertation).
- Felt that work required deprivation and sacrifice. Work was supposed to be difficult; they had to suffer in order to do good work.
- Felt guilty if they spent time with their friends or in leisure activities. Because they weren't really being productive, they felt guilty taking any time for fun, so their recreation was half-hearted and guilty instead of high-quality play and guilt-free.

(...) On the other hand, those who were making good progress toward finishing in a year were dedicated and committed
to their leisure time. Their health and recreation were high priorities and an integral part of their overall plan to do good work on the dissertation. They had to swim, run or dance almost every day. They had to be with friends for dinner several nights a week. They were truly 're-created' – in the original sense of the word recreation – in a way that kept them motivated and interested in returning to their projects for fifteen, twenty, or twenty-five quality hours a week. Their lives were full. They didn't see their work as depriving them of anything; quite the opposite, working intensely and playing intensely went hand in hand with their enjoyment of life. They were living now – not waiting to begin living when their work was completed." (S. 81-82)

Also nimm dir die Zeit, lieg ein bisschen herum und lies das Buch (oder wenigstens Teile davon). Aus naheliegenden Gründen wäre uns am liebsten, wenn du es kaufst, aber in diesem offensichtlichen Notfall würden wir auch eines mit Blaulicht vorbeischicken, wenn du uns deine Adresse mailst.

26.09.2008 | 08:46 | Prokrastinations-Beratung

Prokrastinationsberatung 1

Ines G. schreibt uns:

Liebe Dr.s Passig und Lobo,
eigentlich müsste ich seit zwei Woche drei Leuten aus dem eigenen Unternehmen hinterher telefonieren, die für mich Motive für wichtige Fotoaufnahmen recherchieren sollten (kann ich nicht selbst, ich brauche deren Fachwissen). Langsam wird es brenzlig, denn ich trete bald eine Urlaubsreise an; vorher muss ich dem Fotografen noch mitgeteilt haben, wen er auf welchem Kontinent wo und wie fotografieren soll.
Statt diese unangenehmen Telefonate zu führen, brüte ich zwar tolle Ideen aus, mit denen ich mich und meinen Chef beeindrucke. Aber je weniger Zeit mir bleibt, umso grauenhafter wird die Vorstellung, dass ich diese Menschen anrufe. Wenn ich nicht schnell in die Pötte komme, scheitert dadurch ein ein wichtiges Großprojekt.
Was raten Sie?


Diese Mail erreichte uns am 13.9., und aus unserer zügigen Reaktion kann man zweierlei lernen: Erstens sind wir wahrscheinlich doch gar keine guten Prokrastinationsberater. Zweitens lösen andere Menschen ihre Probleme oft selbst, wenn man nicht sofort reagiert; ein Phänomen, das jeder Techniksupportmitarbeiter kennt. Schon eine Telefonwarteschleife kann genügen, im Wartenden allerhand Denkprozesse ("ist der Stecker eigentlich eingesteckt?") auszulösen. Falls die Anfrage aber immer noch aktuell sein sollte, würden wir dazu raten, jemand anderen per Tauschgeschäft mit den eigentlichen Anrufen zu beauftragen.

Für unangenehme Vermittlungen per Telefon gibt es aber auch einen hervorragenden Workaround – die Kurzschaltung der betreffenden Personen per Mail. Menschen, die beruflich Fotomotive recherchieren können und Fotografen sollten in der Lage sein, aus ein paar dürren Briefingzeilen (die vermutlich längst geschrieben sind) und den jeweiligen Telefonnummern ein anständiges Bild zu zaubern. Dieses Verfahren des sich aus der Schusslinie Mailens ist intensiv agenturerprobt.

Abgesehen davon scheitern wichtige Großprojekte oft viel später, als man so denkt.

Kathrin Passig, Sascha Lobo | Dauerhafter Link | Kommentare (4)

25.09.2008 | 21:58 | Berichte und Beispiele

Gedächtnisprotokoll eines ausgefallenen Interviews

Robert Simpson ist der Veranstalter der gerade zu Ende gegangenen .astronomy-Konferenz ("Conference on Networked Astronomy and the New Media") in Cardiff. Seinen Vortrag "Hacking the Sky" kann man bei ustream.tv sehen: Teil 1 / Teil 2. Roberts darin vorgestellte Projekte sind unter anderem ein KMZ-File, mit dem man Satelliten und Weltraumteleskope in Google Earth dabei zusehen kann, wie sie ihre Bahnen ziehen, ein Tool, mit dem man alle möglichen Astronomiebilder und -infos in Google Sky einblenden lassen kann (was sehr gut aussieht, mehr kann ich dazu mangels Fachkenntnis nicht sagen; ich vermute, es ist außerdem ganz praktisch), und noch ein KMZ-File für Google Earth, das sämtliche Trümmer des gesprengten Satelliten Fengyun 1C im Orbit anzeigt. Sein Blog Orbiting Frog wirkt auch ganz interessant. Nach dem Vortrag hatten wir ungefähr folgendes Gespräch:

KP: Gehe ich recht in der Annahme, dass du das alles gemacht hast, während du eigentlich was ganz anderes hättest tun sollen?
RS: Äh, ja, aber wenn man so eine PhD-Stelle hat, hat man oft ganz lange nichts zu tun, und ... <weitere Entschuldigungen>.
KP: Das war gar kein Vorwurf. Ich habe da dieses Prokrastinationsblog, und meine Theorie ist, dass einen solche Nebenbeiprojekte auch auf den Gebieten der eigentlichen Arbeit produktiver machen.
RS: Kann ich nur bestätigen. In den letzten Wochen vor der Konferenz war ich sehr produktiv, und vor allem: Durch diese Konferenz ist genau das Internetzeug, was ich sonst nebenbei mache, jetzt meine eigentliche Arbeit!
KP: Ich werde mich wahrscheinlich nicht dazu aufraffen können, aber eventuell interviewe ich dich mal per Mail für das Prokrastinationsblog, ok?
RS: Ok.

Ich werde mich wahrscheinlich nicht dazu aufraffen können.

25.09.2008 | 16:09 | Blog und Buch

Ein vorhersehbares Problem

Beim Schreiben haben uns ziemlich viele Menschen auf die eine oder andere Art geholfen, ich zitiere aus den Danksagungen im Buch:

Bettina Andrae, Jan Bölsche, Michael Brake, Chrissy Clayton, Don Dahlmann, Cedric Ebener, Claus Eschemann, Astrid Fischer, Eberhard Flutwas ser, Nadine Honig Freischlad, Holm Friebe, Nina von Gayl, René Gisler, Uwe Heldt, Falko Hennig, Wolfgang Herrndorf, Thomas Hölzl, Markus Honsig, Lukas Imhof, Johannes Jander, Volker Jahr, Markus Kempken, Bernd Klöckener, Robert Koall, Roland Krause, Angela Leinen, Kai Roger Lobo, Horacio Lobo & Fabiola, Wibke Lobo, Angelika Maisch, Moritz Metz, Annette Passig, Dieter Passig, Georg Passig, Gertrud Passig, Nathalie Passig, Natascha Podgornik, Jochen Reinecke, Stephanie Roßdeutscher, Tex Rubinowitz, Jochen Schmidt, Aleks Scholz, Axel Schneider, Kai Schreiber, Christoph Schulte-Richtering, Ulrike «Supatopcheckerbunny» Sterblich, Christoph Virchow, Malte Welding, Sabine Werthmann, Harriet Wolff, Klaus Cäsar Zehrer, das adnation-Team Johnny, Tanja und Max, das Café Liebling und alle, die dort arbeiten, Zentrale Intelligenz Agentur, Höfliche-Paparazzi-Forum, Riesenmaschine, Twitter und schließlich die lieben Menschen, die unseren verschiedenen Aufrufen im Netz gefolgt sind und uns mit Beispielen, Geschichten und Erfahrungen versorgt haben.

Alle diese netten Menschen sowie einige, die wir zu nennen vergessen haben, wurden mit dem Versprechen eines Belegexemplars geködert. Der Verlag wird voraussichtlich dazu zu überreden sein, diese Belegexemplare zu verschicken, wenn wir eine Adressliste bereitstellen (und für die Bücher bezahlen, so ist das nämlich). Die vollständige Abwicklung kann erfahrungsgemäß ein, zwei Jährchen dauern, aber wenn diejenigen, die sich auf dieser Liste entdecken und schon ahnen, dass wir ihre Postadresse gar nicht haben, uns diese Adresse mailen könnten, dann, nun ja, Weihnachten steht vor der Tür. Wir werden unser Bestes tun.

23.09.2008 | 16:42 | Kategorie braucht noch einen Titel!

Warten auf E.T.

"Jean Traore, ein Austauschstudent aus dem westafrikanischen Burkina Faso, empfindet das Konzept der 'Zeitverschwendung' als verwirrend. 'Dort, wo ich herkomme, gibt es so etwas wie verschwendete Zeit überhaupt nicht', erklärt er. 'Wie kann man Zeit verschwenden? Wenn man irgend etwas nicht tut, tut man dafür etwas anderes. Auch wenn man einfach nur mit einem Freund spricht oder herumsitzt, tut man eben das.'"
(Robert Levine: "Eine Landkarte der Zeit")

"Eine Landkarte der Zeit" ist auch sonst ein sehr lesenswertes Buch, aber das nur am Rande. Eigentlich geht es in diesem Beitrag darum, was man beim Herumsitzen oder -liegen ganz nebenbei noch mit erledigen kann, nämlich wissenschaftliche Arbeit im Dienste des WETI Institute. Im Unterschied zu SETI besteht die Tätigkeit von WETI im Warten darauf, dass die Außerirdischen uns entdecken. Dabei wird nicht nur das Geld des Steuerzahlers eingespart, sondern auch sonst viel Schaden vermieden: "Mankind has always felt the urge of actively doing something of extraordinary relevance. By doing so, we have caused a great deal of grief and disaster. The WETI Institute proposes to abandon our reckless anthropocentric ambition, and to strive for a more humble approach of letting the universe explore us instead." Also einfach mal nicht so viel unnütz herumwuseln, sondern produktiv abwarten, dazu vielleicht eine schöne Tasse Tee.

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