05.09.2008 | 10:47 | Korrekturen und Ergänzungen | Berichte und Beispiele

Zusammenfassungsdienst: Produktivität und Ablenkung

Alles schon ein paar Monate her, aber ihr habt es ja doch noch ungelesen im Feedreader stecken.

Gina Trapani, What Productivity Studies Really Show:
Täglich liest man irgendwo, wie sehr ständiges Maillesen die Produktivität schmälert und dass Multitasking der Untergang des Abendlandes ist. Dabei ist zum einen nicht einkalkuliert, dass z.B. die Einführung von E-Mail gleichzeitig die Produktivität drastisch erhöht hat, zum anderen stammt vermutlich ein Großteil dieser Behauptungen von Leuten, die einfach nicht mit dem Internet umgehen können. Verweise auf Anne Zelenka (sich beim Arbeiten nicht abschotten, sondern offen für Abschweifungen und Ablenkungen bleiben), Clay Shirky (Online-Interaktion ist viel besser als frühere Zeitvertreibe wie Fernsehen) und Bill Gates (wir werden nicht mit zu vielen, sondern mit zu wenig Informationen bombardiert).

Anne Zelenka, Busyness vs. Burst: Why Corporate Web Workers Look Unproductive:
Wer in der burst economy (Innovation, flache Hierarchien, unregelmäßige Produktivität) arbeitet, sieht nur nach den Maßstäben der herkömmlichen business economy unproduktiv aus – weil er nicht ganztags am Rechner sitzt, weil er nicht sofort auf jede Mail reagiert (sondern andere Kommunikationskanäle wie Blogs, Chats etc. nutzt), weil er viel Zeit damit verbringt, ziellos im Web herumzusurfen und weil er das schnelle Experiment der langfristigen Planung vorzieht. Die Welt braucht beide Arbeitsmodi.

Anne Zelenka, Bring on Information Overload: It's Good for You:
Wer mehr Informationen ausgesetzt ist, lernt auch mehr zu bewältigen und wird dabei schlauer. Zitiert Stowe Boyd: Halbaufmerksamkeit ist keine Krankheit, sondern der Arbeitsmodus der Zukunft. Tipps unter anderem: Unbesorgt auch mal was verpassen, ungelesene Mails löschen, alles Wichtige findet sowieso mehrmals den Weg zu uns.

Das alles steht in "Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin" zwar auch so ungefähr drin, aber ohne Verweise auf diese schönen Details, die erst auftauchten, als das Buch schon fertig war.

04.09.2008 | 07:38 | Berichte und Beispiele

Arbeitssimulation

Diesen Gastbeitrag mailte uns unverlangter- und unbekannterweise Rebecca Schwerdtfeger. Er hat mit dem Thema des Buchs indirekt zu tun, nämlich erstens insofern, als man (Sascha und ich) manchmal selbst keine Arbeit machen muss, wenn andere (Rebecca) sie tun. Zweitens ist die Arbeitssimulation eine entfernte Verwandte der Prokrastination: Im einen Fall gibt es keine Arbeit, im anderen Fall mehr als genug, aber in beiden Fällen kommt es zu Ausweichhandlungen, die mal mehr, mal weniger sinnvoll sind. Für die Zukunft könnte man ein System erwägen, in dem die offenbar zahlreichen Arbeitssimulanten einfach diejenige Arbeit erledigen, die sich auf den Schreibtischen von Prokrastinierern stapelt. Wir wittern da ein Geschäftsmodell.

Jede bemitleidenswerte Kreatur, die ein festes Arbeitsverhältnis hat, kennt es, das schwere Kreuz der Arbeitsimulation. Draußen ist das Wetter klasse und man weiß, dass es pünktlich zum Wochenende wieder schlecht sein wird. Man hat nichts zu tun, doch das Büro hängt wie eine Fußfessel an einem. Man sitzt dort und muss Arbeit simulieren, obwohl es keine gibt. Der Chef sieht es nicht sehr gern, wenn die Belegschaft nur dasitzt oder womöglich früher Schluss macht. Arbeitssimulationen wurden nur erfunden, weil Chefs es nicht akzeptieren können, wenn mal nichts geschieht, weil nichts zu tun ist. Nichts gibt es nicht, wer keine Arbeit hat, soll sich welche suchen!

Doch was dabei außer Acht gelassen wird ist, dass am Ende die Arbeitssimulation für den eigentlichen Arbeitsprozess genauso förderlich ist, wie Diätschokolade zu essen, wenn man abnehmen möchte. Sie schadet der Effektivität. So musste ich schon selbst die Erfahrung machen, Aufgaben aus dem Hut zu zaubern, wo es nichts zu zaubern gab. Dies wäre auch ein gutes TV-Konzept für das Privatfernsehen, "die 10 erfolgreichsten Arbeitsimulationen".

Eine altbekannte Strategie ist, dass Aufgaben nur halb erledigt werden, damit man noch behaupten kann, man habe Probleme, man sei am Ball, man habe noch etwas zu recherchieren oder es sei bald fertig.

Epizentren der Arbeitssimulation sind Fabriken, so beobachtete ich in den Semesterferien in einer Müslifabrik eine Frau, die wie ein Planet die Produktionshalle umkreiste und dabei den Boden fegte. Sie tat nichts anderes seit Jahren und das acht Stunden täglich. Stündlich tauchte sie in meiner Umlaufbahn auf.

Blieb sie doch mal stehen und der Chef entdeckte dies, gab es sofort strafende Blicke. Aus diesem Grund erfand auch der Rest der Belegschaft pfiffige Ideen, um beschäftigt zu wirken. Besonders beliebt und erfolgreich war dabei die Strategie, Müsliriegel, welche unverpackt aus der Maschine fielen, aufzusparen und anschließend mit der Hand zu verpacken, doch anstatt die Riegel zurück in die Maschine zu entlassen wurden sie wieder zurück auf den Tisch gekippt, damit der Berg ja nicht kleiner wurde, denn käme der Chef vorbei, musste man gewappnet sein, schließlich war man ja fleißig wie ein Bienchen.

Das Problem an der Sache war, dass, wenn es wirklich mal viel zu tun gab, die Requisiten der Simulation die Arbeiterschaft unnötigerweise davon abhielt, sich der wirklichen Aufgabe zu stellen.

Selbst an der Baumarktkasse wurde ich Zeuge des Unbegreiflichen. Die Kassiererinnen waren dazu angehalten, die Werbeprospekte zu studieren, damit sie beschäftigt aussahen. Ich frage mich, was ist so falsch daran, einfach mal Löcher in die Luft zu starren?

Auch in sozialen Einrichtungen, wie Kindertagestätten taucht die Arbeitssimulation hin und wieder auf. Eine Kollegin wollte eine Geburtstagsraupe basteln. Sie erschloss dabei gleich zwei Techniken des Vortäuschens, zum einen die Entdeckung der Langsamkeit und zum anderen, die unnötige Erschwerung der Tätigkeit. So benutzte sie einen Cutter statt einer Schere, um das Papier zu zerschneiden und benötigte für die Herstellung jener Raupe eine ganze Woche. Respekt! Sie wurde mein persönliches Idol.

Auch dieser Text ist das Ergebnis einer erfolgreichen Simulation. Mein Kollegen denken, ich tippe eifrig Texte, die dem Zwecke der Arbeit dienen, doch ich tippe nur um zu tippen, schließlich habe ich meine Aufgaben für heute erfolgreich erledigt, aber Arbeitsschluss ist erst in 30 Minuten, also tippe ich und tippe.

Rebecca Schwerdtfeger | Dauerhafter Link | Kommentare (8)

02.09.2008 | 09:36 | Blog und Buch | Tipps und Tools

6 einfache Übungen

1. Auch mal ein Getränk zwei Jahre vor Ablaufdatum austrinken. Schon hat man eine Aufgabe lange vor der Deadline erledigt.
2. Auf Bahngleisen sitzen oder liegen. Rechtzeitig aufstehen, bevor der Zug kommt. Diese Übung vermittelt ein Gefühl für das Tempo, in dem die Deadline herannaht, auch wenn vorher lange Zeit gar nichts passiert ist.
3. Aus den Briefkästen der Nachbarn amtlich aussehende Schreiben fischen und öffnen. Die Wirkung ist die einer Desensibilisierungstherapie gegen Heuschnupfen: Schon wenige Jahre später kann man auch Post aus dem eigenen Briefkasten öffnen.
4. Einige Kabel wohlgeordnet in eine Tasche legen. Eine Stunde abwarten, die Tasche wieder öffnen. Den entstandenen Kabelsalat betrachten und dabei über die Sinnlosigkeit menschlichen Ordnungsstrebens meditieren.
5. Zeitungen Seite für Seite ins Altpapier geben, um so zu erlernen, wie man eine größere Aufgabe in übersichtliche Einheiten zerlegt.
6. Den perfekten Mord planen, dann kurz vor der Ausführung darauf verzichten. Darüber nachdenken, dass Untätigkeit Leben retten kann.

(Aus dem Buch gestrichen)

01.09.2008 | 11:42 | Blog und Buch

Nation of Prokrasti


Späterlese
Der Beitragstitel ist natürlich grauenvoll; ich hatte ihn als Provisorium hineingeschrieben. Wie so oft habe ich ein Provisorium ausgewählt, das so schlecht sein sollte, dass es später UNBEDINGT ersetzt werden muss. Nun.

Rissschwenk auf auf die Entstehung dieses buchbegleitenden Blogs. Ursprung ist eigentlich ein Vortrag gleichen Titels beim 9to5-Festival (hier herunterzuladen, 42 Min, 19MB mp3). Obwohl von vier bis fünf Uhr morgens angesetzt, ist der Raum etwa doppelt so voll wie feuerpolizeilich erlaubt (Vermutung). Ich glaube, Literaturagent Thomas Hölzl schlug vor, daraus ein Buch zu machen; eine Idee von genialischer Bescheuertheit, deren ausführliche Geschichte Kathrin hier für die ZEIT aufgeschrieben hat. Weil es am sechsten Oktober bei Rowohlt Berlin erscheinen wird, hatten wir uns vorgenommen, das Blog bereits im Mai zu launchen, um die Aufmerksamkeit für das Thema Prokrastination etwas anzuheizen. Obwohl das Wort im Englischen seit etwa 500 Jahren existiert, ist es im Deutschen noch ziemlich unbekannt. Die Domain Prokrastination.com zum Beispiel lag noch ungesichert auf der Weide herum und liess sich bereitwillig einfangen. Der entsprechende Wikipedia-Eintrag leitet einfach weiter auf "Aufschieben", was sachlich okay sein mag, aber sich ungerecht anfühlt. Dabei wird das Wort wie auch das Thema Prokrastination gross werden, denn egal, ob man es als krankhafte Persönlichkeitsstörung oder als neuzeitlichen Lifestyle ansieht – es handelt sich um eine medial zu wenig beachtete gesellschaftliche Grossbewegung, die
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in der Zwischenzeit kann man hier das (leicht modifizierte) Vorwort des Buchs nachlesen, in dem steht, warum wir dieses Buch
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Kathrin, der Startartikel hier ist noch selbstgerechter Pathosquark, kannst Du mal drübergehen und ein witziges Ende dranflanschen, spätestens bis 4. Juli 14. Juli 02.08. Ende August morgen? SL
Okay, aber ich weiss nicht, ob ich's retten kann. KP

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