04.09.2008 | 07:38 | Berichte und Beispiele

Arbeitssimulation

Diesen Gastbeitrag mailte uns unverlangter- und unbekannterweise Rebecca Schwerdtfeger. Er hat mit dem Thema des Buchs indirekt zu tun, nämlich erstens insofern, als man (Sascha und ich) manchmal selbst keine Arbeit machen muss, wenn andere (Rebecca) sie tun. Zweitens ist die Arbeitssimulation eine entfernte Verwandte der Prokrastination: Im einen Fall gibt es keine Arbeit, im anderen Fall mehr als genug, aber in beiden Fällen kommt es zu Ausweichhandlungen, die mal mehr, mal weniger sinnvoll sind. Für die Zukunft könnte man ein System erwägen, in dem die offenbar zahlreichen Arbeitssimulanten einfach diejenige Arbeit erledigen, die sich auf den Schreibtischen von Prokrastinierern stapelt. Wir wittern da ein Geschäftsmodell.

Jede bemitleidenswerte Kreatur, die ein festes Arbeitsverhältnis hat, kennt es, das schwere Kreuz der Arbeitsimulation. Draußen ist das Wetter klasse und man weiß, dass es pünktlich zum Wochenende wieder schlecht sein wird. Man hat nichts zu tun, doch das Büro hängt wie eine Fußfessel an einem. Man sitzt dort und muss Arbeit simulieren, obwohl es keine gibt. Der Chef sieht es nicht sehr gern, wenn die Belegschaft nur dasitzt oder womöglich früher Schluss macht. Arbeitssimulationen wurden nur erfunden, weil Chefs es nicht akzeptieren können, wenn mal nichts geschieht, weil nichts zu tun ist. Nichts gibt es nicht, wer keine Arbeit hat, soll sich welche suchen!

Doch was dabei außer Acht gelassen wird ist, dass am Ende die Arbeitssimulation für den eigentlichen Arbeitsprozess genauso förderlich ist, wie Diätschokolade zu essen, wenn man abnehmen möchte. Sie schadet der Effektivität. So musste ich schon selbst die Erfahrung machen, Aufgaben aus dem Hut zu zaubern, wo es nichts zu zaubern gab. Dies wäre auch ein gutes TV-Konzept für das Privatfernsehen, "die 10 erfolgreichsten Arbeitsimulationen".

Eine altbekannte Strategie ist, dass Aufgaben nur halb erledigt werden, damit man noch behaupten kann, man habe Probleme, man sei am Ball, man habe noch etwas zu recherchieren oder es sei bald fertig.

Epizentren der Arbeitssimulation sind Fabriken, so beobachtete ich in den Semesterferien in einer Müslifabrik eine Frau, die wie ein Planet die Produktionshalle umkreiste und dabei den Boden fegte. Sie tat nichts anderes seit Jahren und das acht Stunden täglich. Stündlich tauchte sie in meiner Umlaufbahn auf.

Blieb sie doch mal stehen und der Chef entdeckte dies, gab es sofort strafende Blicke. Aus diesem Grund erfand auch der Rest der Belegschaft pfiffige Ideen, um beschäftigt zu wirken. Besonders beliebt und erfolgreich war dabei die Strategie, Müsliriegel, welche unverpackt aus der Maschine fielen, aufzusparen und anschließend mit der Hand zu verpacken, doch anstatt die Riegel zurück in die Maschine zu entlassen wurden sie wieder zurück auf den Tisch gekippt, damit der Berg ja nicht kleiner wurde, denn käme der Chef vorbei, musste man gewappnet sein, schließlich war man ja fleißig wie ein Bienchen.

Das Problem an der Sache war, dass, wenn es wirklich mal viel zu tun gab, die Requisiten der Simulation die Arbeiterschaft unnötigerweise davon abhielt, sich der wirklichen Aufgabe zu stellen.

Selbst an der Baumarktkasse wurde ich Zeuge des Unbegreiflichen. Die Kassiererinnen waren dazu angehalten, die Werbeprospekte zu studieren, damit sie beschäftigt aussahen. Ich frage mich, was ist so falsch daran, einfach mal Löcher in die Luft zu starren?

Auch in sozialen Einrichtungen, wie Kindertagestätten taucht die Arbeitssimulation hin und wieder auf. Eine Kollegin wollte eine Geburtstagsraupe basteln. Sie erschloss dabei gleich zwei Techniken des Vortäuschens, zum einen die Entdeckung der Langsamkeit und zum anderen, die unnötige Erschwerung der Tätigkeit. So benutzte sie einen Cutter statt einer Schere, um das Papier zu zerschneiden und benötigte für die Herstellung jener Raupe eine ganze Woche. Respekt! Sie wurde mein persönliches Idol.

Auch dieser Text ist das Ergebnis einer erfolgreichen Simulation. Mein Kollegen denken, ich tippe eifrig Texte, die dem Zwecke der Arbeit dienen, doch ich tippe nur um zu tippen, schließlich habe ich meine Aufgaben für heute erfolgreich erledigt, aber Arbeitsschluss ist erst in 30 Minuten, also tippe ich und tippe.

Rebecca Schwerdtfeger | Dauerhafter Link | Kommentare (8)

Kommentar #1 von Unwichtig:

Super Artikel! Die Idee vom Geschäftsmodell ist auch nicht dumm. Jetzt müsste man noch aushebeln, dass es meistens mehr arbeit kostet, die kleinen Dinge gut zu erklären, als sie selbst zu erledigen.
Obwohl. Wenn der Gedanke, irgend jemand der langeweile hat wird mir helfen, mich so motiviert, dass es mir egal ist, wie lange es dauert die Aufgabe zu übergeben, ... TODO: Gedanke ausformulieren, Kommasetzung überprüfen
Name "Unwichtig", weil Google jetzt sowieso alle rechte an diesem Text besitzt. (Chrome EULA)

04.09.2008 / 11:05

Kommentar #2 von Contra Krastination:

Als Alternative zum Arbeit simulieren ein persönlicher Tip: einfach eine Sitzung einberufen und Grundsätzlichkeiten zur Vorgehensweise besprechen. Dabei muss man selbst unbedingt die größte Ausdauer aller Beteiligten an den Tag legen. Je länger man durch hält, desto weniger Gesprächsteilnehmer. Am Ende gewinnt derjenige mit dem längsten Atem. Einerseits bewahrt einen das vorm Simulieren, andererseits treibt man damit angenehmerweise (?) seine Karriere voran.

04.09.2008 / 11:37

Kommentar #3 von Pofaszination:

Lese ich morgen :)

04.09.2008 / 13:46

Kommentar #4 von Horst_Hirst:

Schönes Thema. Ich habe in meiner Zeit als Semesterferienaushilfspacker bei VDO (Spezialgebiet: Tempomatregler) mal mit dem iranischen Kollegen zwei Stunden gebraucht, um aus dem 40 m entfernten Hof eine Rolle Packkarton zu holen, weil draußen so tolles Wetter war. Zweimal täglich zog im Schneckentempo Ralli durch die Abteilung, ein kleines leeres Wägelchen im Schlepptau, um Abfälle einzusammeln, die es nicht gab, begleitet vom vielstimmigen "Schwer, Ralli, schwer!"-Gebrüll der Co-Packer.
Wissenschaftlich unterfüttert und klassifiziert finden sich Stategien zur Arbeitssimulation übrigens hierdrin:
Oswald Neuberger: Arbeit : Begriff, Gestaltung, Motivation, Zufriedenheit. Stuttgart: Enke, 1985

04.09.2008 / 13:59

Kommentar #5 von Bleistifterin:

In meinem Job muss ich die Arbeit (leider) gar nicht simulieren. Bei uns steht "halbe Stelle" nämlich für "volle Arbeit bei halben Gehalt"...
Traurigerweise wird es heutzutage ja auch gar nicht mehr anerkannt, wenn man nach fristgerecht und sorgfältig erledigtem Tagwerk fröhlich pfeifend nach Hause geht. Wer nicht völlig gestresst (oder unter der Simulation von Stress)täglich Überstunden schiebt um seiner Arbeit Herr zu werden, erntet keine Anerkennung für das hervorragende Time-Management* und die gesunde work-life-balance*, sondern allenfalls Mißtrauen: Kann man die Stelle dann nicht auch abbauen, die Aufgaben auf motiviertere Kollegen verteilen? Oder ist man nicht ausgelastet?
*Schade um die schönen Kurse.

04.09.2008 / 20:53

Kommentar #6 von DigiTalk:

Als perfekte Arbeitssimulation hat sich bei mir ergeben: Riesenmaschine lesen.
Sieht immer aus, als würde man noch was gaaanz wichtiges recherchieren!
Und wenn die Artikel schon alle bekannt sind, gibt es noch andere Blogs und Webseiten zum lesen.

05.09.2008 / 08:19

Kommentar #7 von Contra Krastination:

Arbeitssimulation ist für viele Menschen ein allgegenwärtiges Thema. Arbeitssimulation betrachte ich als ein soziales Phänomen, ein Resultat von mangelndem Gemeinschaftssinn, Missgunst, Neid, etc. Solange es all das gibt, wird es leider immer auch Arbeitssimulanten geben , bzw. geben müssen.
Selbst jeder, der dies erkannt hat, wird seinen eigenen Kollegen, der diese Woche zum 3. Mal pünktlich Feierabend macht, mit kritischen Augen betrachten. Dieser faule Sack. So ist das eben.
Im Internet surfen ist übrigens ein ganz toller und super-origineller Weg um beschäftigt auszusehen. Eben das perfekte Verbrechen: spurlos, risikolos, niemand bekommt es mit. Äh, ja.

05.09.2008 / 12:12

Kommentar #8 von al:

Ich kenne bei uns im Marketing-Bereich drei Gründe für Arbeitssimulation:
1. Wer abends nicht bis mindestens 20.00 Uhr arbeitet ist ein Schwachleister und wird mit den Worten "Ach, heute wieder nur einen halben Tag" in den Feierabend entlassen. Also beobachte ich Kollegen, die die letzten Stunden mit Surfen im Internet totschlagen.
2. Die Arbeitsbelastung ist enorm hoch. Es ist aber niemanden zu vermitteln, dass auch bei grundsätzlich hoher Arbeitsbelastung Phasen auftreten, bei denen man mal eben nichts zu tun hat, oder man einfach mal ein kleines Päuschen braucht. Da hilft nur Arbeitssimulation. Mit geschlossenen Augen einfach die Tastatur bearbeiten.
3. Langeweile. Echte Schwachleister bekommen kaum Aufgaben übertragen. Die haben dann wirklich nichts zu tun. Ein Dilemma, dem nur mit verschärfter Arbeitssimulation begegnet werden kann.

19.09.2008 / 09:58