10.09.2008 | 07:45 | Korrekturen und Ergänzungen | Berichte und Beispiele

Produktive Prokrastination

"The things that I get the most 'stuck-est' on... it frequently turns out I was not supposed to do. I'm not saying that everything I procrastinate turns out to be for a good reason, but there are a lot of times when I get stuck that I later find an infinitely better, different way to handle..."

(Laura Fitton bei Web Worker Daily, in einem Beitrag, der ansonsten von einer neuen To-do-Listen-Technik handelt)

05.09.2008 | 10:47 | Korrekturen und Ergänzungen | Berichte und Beispiele

Zusammenfassungsdienst: Produktivität und Ablenkung

Alles schon ein paar Monate her, aber ihr habt es ja doch noch ungelesen im Feedreader stecken.

Gina Trapani, What Productivity Studies Really Show:
Täglich liest man irgendwo, wie sehr ständiges Maillesen die Produktivität schmälert und dass Multitasking der Untergang des Abendlandes ist. Dabei ist zum einen nicht einkalkuliert, dass z.B. die Einführung von E-Mail gleichzeitig die Produktivität drastisch erhöht hat, zum anderen stammt vermutlich ein Großteil dieser Behauptungen von Leuten, die einfach nicht mit dem Internet umgehen können. Verweise auf Anne Zelenka (sich beim Arbeiten nicht abschotten, sondern offen für Abschweifungen und Ablenkungen bleiben), Clay Shirky (Online-Interaktion ist viel besser als frühere Zeitvertreibe wie Fernsehen) und Bill Gates (wir werden nicht mit zu vielen, sondern mit zu wenig Informationen bombardiert).

Anne Zelenka, Busyness vs. Burst: Why Corporate Web Workers Look Unproductive:
Wer in der burst economy (Innovation, flache Hierarchien, unregelmäßige Produktivität) arbeitet, sieht nur nach den Maßstäben der herkömmlichen business economy unproduktiv aus – weil er nicht ganztags am Rechner sitzt, weil er nicht sofort auf jede Mail reagiert (sondern andere Kommunikationskanäle wie Blogs, Chats etc. nutzt), weil er viel Zeit damit verbringt, ziellos im Web herumzusurfen und weil er das schnelle Experiment der langfristigen Planung vorzieht. Die Welt braucht beide Arbeitsmodi.

Anne Zelenka, Bring on Information Overload: It's Good for You:
Wer mehr Informationen ausgesetzt ist, lernt auch mehr zu bewältigen und wird dabei schlauer. Zitiert Stowe Boyd: Halbaufmerksamkeit ist keine Krankheit, sondern der Arbeitsmodus der Zukunft. Tipps unter anderem: Unbesorgt auch mal was verpassen, ungelesene Mails löschen, alles Wichtige findet sowieso mehrmals den Weg zu uns.

Das alles steht in "Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin" zwar auch so ungefähr drin, aber ohne Verweise auf diese schönen Details, die erst auftauchten, als das Buch schon fertig war.

04.09.2008 | 07:38 | Berichte und Beispiele

Arbeitssimulation

Diesen Gastbeitrag mailte uns unverlangter- und unbekannterweise Rebecca Schwerdtfeger. Er hat mit dem Thema des Buchs indirekt zu tun, nämlich erstens insofern, als man (Sascha und ich) manchmal selbst keine Arbeit machen muss, wenn andere (Rebecca) sie tun. Zweitens ist die Arbeitssimulation eine entfernte Verwandte der Prokrastination: Im einen Fall gibt es keine Arbeit, im anderen Fall mehr als genug, aber in beiden Fällen kommt es zu Ausweichhandlungen, die mal mehr, mal weniger sinnvoll sind. Für die Zukunft könnte man ein System erwägen, in dem die offenbar zahlreichen Arbeitssimulanten einfach diejenige Arbeit erledigen, die sich auf den Schreibtischen von Prokrastinierern stapelt. Wir wittern da ein Geschäftsmodell.

Jede bemitleidenswerte Kreatur, die ein festes Arbeitsverhältnis hat, kennt es, das schwere Kreuz der Arbeitsimulation. Draußen ist das Wetter klasse und man weiß, dass es pünktlich zum Wochenende wieder schlecht sein wird. Man hat nichts zu tun, doch das Büro hängt wie eine Fußfessel an einem. Man sitzt dort und muss Arbeit simulieren, obwohl es keine gibt. Der Chef sieht es nicht sehr gern, wenn die Belegschaft nur dasitzt oder womöglich früher Schluss macht. Arbeitssimulationen wurden nur erfunden, weil Chefs es nicht akzeptieren können, wenn mal nichts geschieht, weil nichts zu tun ist. Nichts gibt es nicht, wer keine Arbeit hat, soll sich welche suchen!

Doch was dabei außer Acht gelassen wird ist, dass am Ende die Arbeitssimulation für den eigentlichen Arbeitsprozess genauso förderlich ist, wie Diätschokolade zu essen, wenn man abnehmen möchte. Sie schadet der Effektivität. So musste ich schon selbst die Erfahrung machen, Aufgaben aus dem Hut zu zaubern, wo es nichts zu zaubern gab. Dies wäre auch ein gutes TV-Konzept für das Privatfernsehen, "die 10 erfolgreichsten Arbeitsimulationen".

Eine altbekannte Strategie ist, dass Aufgaben nur halb erledigt werden, damit man noch behaupten kann, man habe Probleme, man sei am Ball, man habe noch etwas zu recherchieren oder es sei bald fertig.

Epizentren der Arbeitssimulation sind Fabriken, so beobachtete ich in den Semesterferien in einer Müslifabrik eine Frau, die wie ein Planet die Produktionshalle umkreiste und dabei den Boden fegte. Sie tat nichts anderes seit Jahren und das acht Stunden täglich. Stündlich tauchte sie in meiner Umlaufbahn auf.

Blieb sie doch mal stehen und der Chef entdeckte dies, gab es sofort strafende Blicke. Aus diesem Grund erfand auch der Rest der Belegschaft pfiffige Ideen, um beschäftigt zu wirken. Besonders beliebt und erfolgreich war dabei die Strategie, Müsliriegel, welche unverpackt aus der Maschine fielen, aufzusparen und anschließend mit der Hand zu verpacken, doch anstatt die Riegel zurück in die Maschine zu entlassen wurden sie wieder zurück auf den Tisch gekippt, damit der Berg ja nicht kleiner wurde, denn käme der Chef vorbei, musste man gewappnet sein, schließlich war man ja fleißig wie ein Bienchen.

Das Problem an der Sache war, dass, wenn es wirklich mal viel zu tun gab, die Requisiten der Simulation die Arbeiterschaft unnötigerweise davon abhielt, sich der wirklichen Aufgabe zu stellen.

Selbst an der Baumarktkasse wurde ich Zeuge des Unbegreiflichen. Die Kassiererinnen waren dazu angehalten, die Werbeprospekte zu studieren, damit sie beschäftigt aussahen. Ich frage mich, was ist so falsch daran, einfach mal Löcher in die Luft zu starren?

Auch in sozialen Einrichtungen, wie Kindertagestätten taucht die Arbeitssimulation hin und wieder auf. Eine Kollegin wollte eine Geburtstagsraupe basteln. Sie erschloss dabei gleich zwei Techniken des Vortäuschens, zum einen die Entdeckung der Langsamkeit und zum anderen, die unnötige Erschwerung der Tätigkeit. So benutzte sie einen Cutter statt einer Schere, um das Papier zu zerschneiden und benötigte für die Herstellung jener Raupe eine ganze Woche. Respekt! Sie wurde mein persönliches Idol.

Auch dieser Text ist das Ergebnis einer erfolgreichen Simulation. Mein Kollegen denken, ich tippe eifrig Texte, die dem Zwecke der Arbeit dienen, doch ich tippe nur um zu tippen, schließlich habe ich meine Aufgaben für heute erfolgreich erledigt, aber Arbeitsschluss ist erst in 30 Minuten, also tippe ich und tippe.

Rebecca Schwerdtfeger | Dauerhafter Link | Kommentare (8)

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