24.10.2008 | 19:43 | Berichte und Beispiele

Ein anonymer Bericht

Auf der Rowohlt-Buchmessenparty habe ich die Gelegenheit zur Feldforschung genutzt und zwei Gespräche über Prokrastinatorisches aufgenommen. Hier das erste, ein Bericht einer anonymen Zeitungsmitarbeiterin:

NN: "Ich habe ein ganz massives Aufschiebeproblem, ich schiebe sogar auf, wenn die letzte Mahnung kommt, Zwangszahlungsandrohung und so weiter. Auf meinem Schreibtisch stapelten sich immer unglaubliche Dokumentenberge. Ich habe dann beschlossen, eine Sekretärin zu engagieren. Ich bin jetzt keineswegs eine Großverdienerin, ich verdiene eher wenig, aber ich habe gedacht, wenn ich das Problem vom Hals habe, dann ist mir das das Geld wert. Dann habe ich eine Anzeige gesehen in der Zeitung, da hieß es '58-Jährige, sehr zuverlässig, sucht Nebenbeschäftigung'. Ich habe die angerufen und gesagt: 'Ich hätte da vielleicht was für Sie, es ist aber nichts Seriöses, es ist auch schwarz', und so weiter. Dann hab ich ihr sofort ganz offen mein Problem geschildert, und sie hat gesagt: 'Ok, ich guck mir das mal an.' Jetzt sitzt sie so bei mir am Schreibtisch und sagt immer: 'Frau N., da hat das Finanzamt Ihnen aber 300 Euro zu viel abgezogen, da müssen wir hinschreiben.' Dann gibt sie mir die Sachen zur Unterschrift, ich unterschreib das dann, dann schickt sie das ab. Ich bin total erleichtert, weil das wirklich ein Riesenproblem war über Jahre, das ich dadurch jetzt gelöst habe."
KP: "Und die sitzt dann bei dir zu Hause und macht das, während du da bist?"
NN: "Ja, zum Teil. Zum Teil ist es so, dass ich dann zum Beispiel Kontoauszüge holen gehe, was ich auch besser kann, wenn sie da ist, dann heften wir die zusammen ab. Aber es ist auch oft einfach so, dass ich in der Küche bin oder im Nebenzimmer und sie dann da die Sachen macht und mich nur unterschreiben lässt."
KP: "Wie oft kommt die dann so?"
NN: "Nach Bedarf. Die ersten Male kam sie halt, um den Riesenberg abzuarbeiten, das hat ein paar Tage gedauert. Und jetzt habe ich sie grade gebeten, mal wieder zu kommen, weil sich wieder was angesammelt hat."
KP: "Und was kostet das?"
NN: "Also ich habe ihr 15 Euro angeboten, und sie hat sofort Ja gesagt. Weil ich einfach das Gefühl hatte, dass es so eine Scheißarbeit ist, und ich hatte auch ein schlechtes Gewissen. Ich habe gedacht: Wenn ich sie anständig bezahle, dann fühl ich mich gut und sie fühlt sich gut. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, sie so eine Arbeit machen zu lassen, aber ihr macht das Spaß. Das ist wirklich wunderbar."

Im zweiten Interview wird es darum gehen, wie man eine Tendenz zur Spielsucht unter Kontrolle behält, und zwar ohne einen Funken Selbstdisziplin.

Kommentar #1 von Max Düblin:

Blogger und Rechnungen sind ein heikles Thema, siehe Peter Hogenkamp/Blogwerk: http://twitter.com/phogenkamp/status/994676141

07.11.2008 / 10:49