16.10.2008 | 14:42 | Berichte und Beispiele

Der Kaiser von China

Tilman Rammstedts eigentlich für Juli oder August angekündigtes Buch "Der Kaiser von China" scheint jetzt tatsächlich fertig zu sein, zumindest habe ich es vorhin am Buchmessenstand des Dumont Verlags gesehen. (Kann natürlich sein, dass innendrin nur leere Seiten waren; ich hatte es eilig und konnte nicht nachsehen.) Jetzt ist es also vermutlich nicht mehr zu früh, diese Prokrastinationsstelle aus den Fahnen zu zitieren:

"Und in der Tat ist es schwer vorstellbar, dass er nun tatsächlich tot sein soll, dass er sein Leben vollständig zu Ende gebracht hat, weil er sonst nie etwas zu Ende brachte. Früher, als es noch Großmütter gab, manche im passenden Alter, manche nur wenige Jahre älter als wir, hatten sie ihn, eine nach der anderen und in fast identischen Worten, immer wieder dazu aufgefordert, doch in aller Herrgottsnamen endlich einmal etwas fertig zu machen, die Steuererklärung, die seit Jahren unbeabsichtigt zweifarbige Pergola, das Puzzle auf dem Wohnzimmertisch, das uns schon gar nicht mehr auffiel, oder zumindest den Namen für die Katze. 'Friedrich oder Vincent' steht bis heute auf ihrem Holzkreuz im Garten. Mein Großvater nickte dann stets einsichtig, sortierte ein paar Quittungen oder legte einen Puzzlestein an, dann suchte er sich schnell eine neue Aufgabe, die verkalkte Kaffeemaschine, das verhedderte Telefonkabel, Glückwunschkarten für noch längst nicht nahende Geburtstage, irgendetwas, von dem er behaupten konnte, dass es nun wirklich dringender sei. Und weil mein Großvater natürlich auch diese neuen Tätigkeiten nicht zu Ende führte und sich als Ausrede dafür noch neuere suchen musste, bestand das ganze Haus, das ganze Leben meines Großvaters aus Anfängen, überall stieß man auf aufgeschlagene Bücher, auf angebissene Brötchen, einzelne Schuhe, hörte Geschichten, die mitten im Satz, mitten im Wort abbrachen, immer noch standen die Namen fast aller vergangenen Großmütter auf unserem Briefkasten, und manchmal, wenn er angekündigt hatte, jetzt schlafen zu gehen, traf man ihn eine halbe Stunde später mitten im Flur stehend an. 'Ich bin auf dem Weg', sagte er dann schnell."
(Tilman Rammstedt: "Der Kaiser von China", Dumont 2008)

Kommentar #1 von Kathrin:

Bin später noch mal am Dumont-Stand vorbeigekommen und habe ins Buch gesehen: es ist tatsächlich auch von innen bedruckt.

17.10.2008 / 00:21