06.10.2008 | 19:08 | Berichte und Beispiele

Das Leben der anderen

Während der Arbeit am Buch sind mir drei Menschen begegnet, die keine Aufschiebeprobleme haben: der Berliner Autor Michael Rutschky, meine Patentante Elfi und der Berliner Galerist und Journalist Jacek Slaski (Galerie Zero). Alle drei gaben zu meiner Überraschung an, dieses zügige Erledigen der anstehenden Aufgaben koste sie keine große Überwindung, "man macht es halt einfach". Drei Personen sind eine sehr kleine Stichprobe, aber der Verdacht erhärtet sich, dass sich gut organisierte Menschen in Wirklichkeit nicht mehr, sondern weniger zusammenreißen müssen als Prokrastinierer. Nach der Buchvorstellung von Holm Friebes und Thomas Ramges "Marke Eigenbau" habe ich Jacek interviewt, hier ist Teil I:

JS: "Wenn ich einen Text in vierzehn Tagen abgeben muss, und den erst nach dreizehn Tagen schreibe, muss ich dreizehn Tage daran denken. Das belastet mich dann dreizehn Tage lang. Aber wenn ich diesen Text morgen schreibe, denke ich den Rest der Zeit nicht daran. Das Problem ist nur, dass ich mich dann natürlich schäme, diesen Text so früh geschrieben zu haben. Man kann den ja nicht vierzehn Tage vorher abgeben, dann denkt der Redakteur oder der Auftraggeber ja, man ist total verrückt. Also liegt dieser Text da, und ich muss wieder dreizehn Tage daran denken, dass ich ihn am Ende abschicke. Das ist alles sehr schwierig."
KP: "Fällt es dir schwer, dich zum Schreiben aufzuraffen?"
JS: "Nein, das fällt mir überhaupt nicht schwer. Ich glaube, das ist so ein preußisches Pflichtgefühl, das ich mir als integrierter Pole hier so angeeignet habe."
KP: "Das war also nicht schon immer so? Du hast dir das irgendwann aktiv angeeignet?"
JS: "Nein, ich glaube, das war schon immer so. Ich weiß nicht, in der Schule ist das ja immer schwer zu sagen, als Schüler hat man ja Deadlines in Form von Hausarbeiten oder Klausuren. Ich hab das aber nie gern auf den letzten Drücker gemacht, da wird man ja nervös. Ich brauche nicht diesen komischen Adrenalinkick, von dem immer alle reden. Natürlich schreibe ich auch mal einen Text auf den letzten Drücker – bei einer Tageszeitung ist das ja so, wenn du nachts ein Konzert siehst, und am nächsten Morgen musst du abgeben, dann hast du ja nur die paar Stunden. Aber auch dann schreibe ich direkt nach dem Konzert und nicht am nächsten Morgen zwischen zehn und zwölf."

Es gibt natürlich neben der Scham noch andere Gründe, fertige Arbeit nicht vor der Zeit abzugeben. Meiner Erfahrung nach bringt man damit die Auftraggeber nur auf dumme Ideen. Und Michael Rutschky ist der Meinung, Redakteure seien nicht glücklich, wenn man ihr Drängeln, ihren Trost und ihren Zuspruch nicht in Anspruch nehme. Aber dazu befrage ich eines Tages noch irgendwen, der damit mehr Erfahrung hat. Ein zweiter Teil des Jacek-Interviews folgt.

Kommentar #1 von DigiTalk:

Manchmal muss man allerdings etwas so lange Prokrastinieren, bis man es dann endlich erledigt, sonst wird es nicht gut.
Das habe ich in der Uni erlebt: Ich sollte mit einem Kollegen eine Präsentation halten. Im Prinzip nichts Neues, kommt öfters vor. Im Allgemeinen habe ich bei Präsentationen immer eine Note von ca. 6 oder 7 auf einer Skala von 1 bis 10.
Diese Mal allerdings hatten wir die Erstellung prokrastiniert bis zum geht-nicht-mehr. Ergebnis: 45 Minuten vor Präsentationsbeginn haben wir uns vor ein leeres PowerPoint gesetzt.
Erfolg: 10 Minuten vor Präsi fertig gewesen, keine Überleitungen ausgedacht, keine Stichwörter, an denen der andere übernimmt, keine Handouts, keinen Plan, was wir genau zu dem sagen, was da steht.
Note: 8,5. Perfektes Zusammenspiel beim Vortragen.
Manchmal lohnt es sich doch.
DigiTalk von Twitter

07.10.2008 / 10:44